Abendlied: Der Mond ist aufgegangen

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar:
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön.
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod,
Und wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du lieber treuer frommer Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon’ uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!

~ Matthias Claudius (1740-1815)  ~

Hintergrund-Informationen

Das berühmteste deutsche Gedicht

Wer hätte das gedacht? Das berühmteste deutsche Gedicht stammt weder von Wolfgang von Goethe, noch von Friedrich Schiller, noch von Heinrich Heine. „Abendlied“, wie das Gedicht heißt, wurde um das Jahr 1777 von Matthias Claudius geschrieben. Kein anderes deutsches Gedicht wurde und wird öfter gedruckt.

Aber eigentlich kann die Berühmtheit nicht wirklich verwundern. Mir fällt auf die Schnelle keine Eröffnungszeile aus einem Gedicht von Goethe, Schiller oder Heine ein, aber „Der Mond ist aufgegangen“ hat sich  fest in mein und unser kollektives Gedächtnis eingeprägt.

Vertont wurde das Gedicht zigmal – die erste Version stammt von Franz Schubert, eine der jüngsten von Herbert Grönemeyer.

Über all die Jahre hat das Abendlied hat unzähligen Mensch in schweren Zeiten Trost geschenkt und Ruhe beschert. Gut möglich, dass es das auch heute noch vermag.

PS: Welcher Song von heute wird wohl in 250 Jahren noch gespielt?

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